Sonntag, 21. Februar 2010

Rainer Maria Rilke - Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Der Text von Novalis, den ich hier heute Mittag eingestellt habe, hat mich an meinen Deutschunterricht und damit an meinen Lieblinsdichter erinnert. Merkwürdigerweise sind zwei meiner Lieblingsschriftsteller Prager, das fiel mir gerade erst auf, und umso mehr fuchst es mich, dass ich mich im Rahmen der Städtereise, die ich nach dem Abitur eine Woche lang mit meinen Eltern unternommen hatte, nicht näher mit den Spuren Rainer Maria Rilkes in Prag auseinandergesetzt habe. Auf dieser Städtereise war Prag die erste Station, es folgten Leipzig und Dresden. Aber Prag war der Hauptbestandteil und das Kafka-Museum ein Muss für mich.

Doch an Rilke hatte ich überhaupt nicht gedacht.
Dabei ist eben Rainer Maria Rilke (* 4. Dezember 1875 in Prag; † 29. Dezember 1926; eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke) mein Lieblingsdichter.

Auch wenn er in seiner Beziehung zu Frauen so gar nicht meinem Männerbild entspricht (und dabei doch meinem Freund recht ähnlich ist), sich von seiner Geliebten und Beraterin Lou Andreas-Salomé sogar zur Änderung seines Vornamens von René in Rainer anstiften lässt und sich ihr unterstellt, so liebe ich es, seine Gedichte in mich aufzusaugen, seine Aussagen zu interpretieren und auf mich wirken zu lassen.
Ich begeistere mich immer wieder aufs Neue für den Symbolgehalt seiner Texte und ihre weitläufige Aussagekraft, die ich nie ganz zu ergründen schaffe, zumindest scheint es mir so.
Bereits in der 5. oder 6. Klasse mussten wir ein Gedicht von Rilke auswendig lernen, natürlich nicht analysieren. Ich kann es immernoch.
Es ist der "Herbsttag", für den im Moment ca. 47% der Besucher von www.rilke.de bei der Wahl zum Lieblingsgedicht des Schriftstellers ihre Stimme abgegeben haben.
Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Aus: Das Buch der Bilder
Mein Lieblingsgedicht von ihm ist zwar auch aus dem "Buch der Bilder", aber es ist das Titelblatt der "Aus der Sturmnacht"-Gedichte.
Aus einer Sturmnacht
Titelblatt

Die Nacht, vom wachsenden Sturme bewegt,
wie wird sie auf einmal weit - ,
als bliebe sie sonst zusammengelegt
in die kleinlichen Falten der Zeit.
Wo die Sterne ihr wehren, dort endet sie nicht
und beginnt nicht mitten im Wald
und nicht an meinem Angesicht
und nicht mit deiner Gestalt.
Die Lampen stammeln und wissen nicht:
lügen wir Licht?
Ist die Nacht die einzige Wirklichkeit
seit Jahrtausenden...


Aus: Das Buch der Bilder
Ich finde in seinen Werken nicht nur Trost, sondern auch innere Ruhe. Es fällt schwer, ein Gedicht zu finden, in dem nicht ein Hauch von Wehmut, von Tod oder Traurigkeit mitschwingt. Immer ist ein melancholischer Effekt zu verspüren, als stünde man im Herbst im Wald, der Himmel ist wolkenbehangen, es ist kalt und trübe, und man hat noch ein Stück Weg vor sich, ehe man in die warme Stube kommt. Diese warme Stube klammert Rilke aus, sie taucht wenn überhaupt, dann nur vereinzelt auf. Seine Werke sind stark von der Philosophie Nietzsches beeinflusst, radikale Anerkennung der Wirklichkeit ohne Jenseitsvertröstungen oder soziale Entwicklungsromantik sind Teil von Rilkes Weltbild.
Die Beschäftigung mit den Vorkomnissen in der Natur und der Umwelt spiegeln sich in seinen Gedichten wieder, die dem literarischen Symbolismus zuzuordnen sind.
Aber gleichzeitig erscheinen sie klar und nachvollziehbar. Es werden Gefühle vermittelt, die vertraut sind. Man kann mitempfinden und fühlt sich verstanden.
Dies fiel mir bei dem Gedicht "Der Panther" auf, dem Lieblingsgedicht meiner Deutschlehrerin im zweiten und letzten Jahr LK-Deutsch.
Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.


Aus: Neue Gedichte (1907)

Der Kriegsdienst Rilkes führte nicht, wie man es meinen könnte, zu einer Schaffensphase, in der er die erlittenen Schrecken und die innere Pein niederschrieb und zu verarbeiten suchte, sondern er verstummte. Er war während des ersten Weltkrieges in Deutschland, genauer in München, quasi gefangen, da er nicht nach Paris, seinem derzeitigen Wohnort, zurückkehren konnte. An der Front jedoch war er nicht.
Die Brutalität der Kriegswirklichkeit aber lies seine anfängliche Euphorie, mit der er in München den Ereignissen begegnete, schnell absinken.
Als er nach dem Krieg nach Wien eingezogen und zur Grundausbildung einberufen wurde, kamen die Erinnerungen an seine Zeit auf der Militärakademie wieder auf, die er vor seinem Abitur besuchte. Diese hatte ihn schon mit Schrecken erfüllt, sodass auch die erneute Konfrontation mit dem Militär nur negative Wirkung auf ihn ausübte.
Dank dem Einsatz von einflussreichen Freunden aber wird er 1916 aus dem Kriegsdienst entlassen.
In seinen letzten Werken versucht er, die Feier des Lebens in Verbindung mit dem Tod als untrennbare Verbundenheit in seine Werke mit einzuflechten. Die Gedichte der letzten Jahre zerfallen in sehr unterschiedliche Gruppen: einerseits heiter-entspannte, oft lakonisch-pointierte Natur- und Landschaftsgedichte, andererseits poetisch kühne Experimente, die rein aus der Sprache heraus gearbeitet sind.
Rilke reist viel, ist ruhe- und rastlos. Dies ist Folge, hat aber auch Auswirkung auf die Krankheit, die ihm schlussendlich den Tod bringt. Erst kurz vor seinem Tod wird sie als Leukämie diagnostiziert.
Der Spruch auf Rilkes Grabstein lautet, auf eigenen Wunsch, folgendermaßen:
Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,
Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.
Ergreifend finde ich bei ihm, dass es immer wieder Passagen gibt, die zum Innehalten auffordern, die greifen, festhalten und nicht mehr loslassen, ob ihrer Schönheit. Viele Formulierungen sind so einzigartig, so wunderschön in ihrer Kombination und Wortgewalt, dass sie mir immer und immer wieder in den Kopf kommen und mich nicht mehr Loslassen.
So bin ich auch auf mein Lieblingsgedicht, das bereits genannte "Aus einer Sturmnacht" gestoßen. Irgendwo hatte ich die Zeilen:
"Die Lampen stammeln und wissen nicht: lügen wir Licht? Ist die Nacht die einzige Wirklichkeit seit Jahrtausenden... " gelesen und diese mich so lange gequält, bis ich nachsehen musste, von wem sie stammen. Seitdem hat mich Rilke nicht mehr losgelassen und ich genieße jeden Moment, jedes Wort, jede Silbe seiner Texte, von denen mich ganz besonders die Gedichte faszinieren, wie ihr sicherlich schon gemerkt habt. ;)


Einen schönen Abend wünsche ich euch,
Euer Sternchen


"Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält."

Rainer Maria Rilke, Aus: Das Buch der Bilder


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