Donnerstag, 15. September 2011

Silence is not the way...

Bush - Letting the cables sleep

Ich will, dass geweckte Erwartungen gestillt werden. Wenn ein Buch behauptet, spannend zu sein, fordere ich Spannung. Wenn es es sich „informativ“ auf die Fahnen schreibt, will ich von ihm informiert werden. Gibt es an, romantisch zu sein, will ich Romantik.
Eigentlich ein sehr einfaches Prinzip.
Jeder weiß, dass es eine Art von Büchern gibt, die vielversprechend aussehen, sich auf dem Klapptext preisen, am Ende aber nur heiße Luft und vergeudete Zeit bedeuten.
Im Rahmen der Internetaktion http://www.bloggdeinbuch.de/ bekam ich vom Verlag Klett Cotta das Buch Drift von Michel Bozikovic
zugesandt, das auf der Rückseite in wenigen Sätzen seinen Inhalt so zusammenfasst:
Gerade von seiner Freundin getrennt, klaut der 19-Jährige Julien das Auto seiner Mutter und fährt in einem Höllentrip an die Front in Kroatien. Er will seinem Leben einen Sinn geben oder ihm ein Ende setzen. Jahre später interviewt ihn dazu der abgehalfterte Journalist Martin, der seine große Chance als Schriftsteller wittert. Eine dunkle Wallfahrt ins ehemalige Jugoslawien.
Näheres erfährt man im Umschlagtext:
Julien zieht in den Krieg, obwohl ihn alle davon abhalten wollen. Die kroatischen Grenzer, die ersten Soldaten, auf die er trifft, ja sogar die Polizei versuchen zu verhindern, dass er sein Leben wegwirft. Doch gegen alle Widerstände schlägt er sich durch und wird Scharfschütze in einer Aufklärungseinheit. Dort lernt er zu lieben, so dass er sich den Namen seiner großen Liebe eigenhändig auf die Brust tätowiert. Der drogenabhängige Martin hat weniger Glück. Er ist gerade von Helena, der Frau seines Lebens, verlassen worden. Martin ist am Ende, hofft aber immer noch auf den Durchbruch als Schriftsteller. Dazu will er Juliens Geschichte aufzschreiben und verspricht ihm, sie groß rauszubringen.
Temporeich erzählt „Drift“ von Aufbruch, jugendlicher Wut und gebrochenen Herzen.
Die Geschichte an sich ist ungewöhnlich, aber nachvollziehbar. Bisher habe ich über den Krieg in Jugoslawien eher.. nichts.. gelesen. Vor allem nicht aus der Perspektive eines schweizer Jugendlichen, der mit seiner Welt, seiner Zukunft nicht zufrieden ist.
Man hat allerdings nicht das Gefühl, dass Julien sein Leben wegwirft. Zumindest nicht zielgerichtet, denn er erscheint in den ersten Szenen seines Auftauchens in der Geschichte eher ziellos. Klar, er will nach Jugoslawien und in den Krieg. Aber das wars auch schon.
Alles andere ergibt sich aus zufälligen Begegnungen, die mehr oder weniger sympathisch enden.
Ich kann mich nicht für Bücher begeistern, deren Hauptperson mir unsympathisch ist, da kann die Geschichte noch so ausgeklügelt und spannend sein. Hier ist das etwas.. undurchdringlich. Es ist mir unsympathisch, dass er trinkt und kifft. Am Steuer. Beides.
Zudem verprügelt er Polizisten und die bereits genannte Ziellosigkeit finde ich auch nicht sehr.. ansprechend. Würde er mir begegnen würde ich ihn entweder ignorieren oder gehörig den Kopf waschen.
Das ändert sich aber teilweise im Laufe seiner aktiven Beteiligung an den Kämpfen.
Der Schreibstil ändert das ein wenig. Ist aber stellenweise etwas gewöhnungsbedürftig. Genauer gesagt: Immer in den Passagen, in denen die Geschichte von Julian erzählt wird. Ein unpersönlicher Ton, vom Erzähler ausgehend, der wiederum den Leser umso persönlicher anspricht.
Zur Verdeutlichung hier eine kleine Passage:
Wird man zum Mörder, wenn man Mörder umbringt, ohne direkt bedroht zu werden? Nein, sagt eine Stimme und man ist froh darum: Sie versichert einem, dass es in Ordnung ist, wenn man andere Menschen dadurch retten kann, und dass es eine rein utilitaristische Handlung ist und man sogar stolz darauf sein muss. Geht man bei der Aktion selber drauf, sinniert man weiter und versteigt sich in Folklore, wird man zum Helden, der das Leben von Tausenden Menschen gerettet hat, indem er einen Mörder exekutiert und den Feind, wenn auch nur vorübergehend, gestoppt und am weiteren, planmäßigen Vorrücken gehindert hat. Jubelnde Menschenmengen und Tausende Fähnchen, inmitten der Masse ein Gesicht im Fadenkreuz, ein leises Klick beim Entsichern, dann explodiert das Gesicht und Blut spritzt meterweit: Krieg hat nichts Romantisches und das eigene Sterben umso weniger; die Eltern und die Brüder werden leiden, das erreicht man mit seinem Tod in erster Linie, und man erwartet das trauernde Gesicht der Freundin, die man ohnehin nicht mehr geliebt hat, aber es will sich nicht zeigen, und man sucht in der Herzgegend und findet Marina anstelle der Freundin, und die Stelle, wo man Marina findet, ist nicht nahe am Herzen sondern mittendrin, gleich neben der Familie, und man weiß nicht, wann genau das geschehen ist, aber man wird es herausfinden und man wird die Gefühle leben, aber dazu muss man zunächst überleben – was man nach Meinung der meisten Kameraden in der Gruppe nicht tun wird.
Egal, denkt man, es hat sich gelohnt zu leben und zu sterben, wenn man das Leben für etwas Sinnvolles hergibt. Und ob man ein Menschenleben rettet oder tausend, spielt keine Rolle; dafür lohnt es sich zu sterben. Wie hätte man leben können im anderen Land, im vollen Bewusstsein, dass man etwas hätte unternehmen können, dass man einen Unterschied machen konnte? Ja wie?
Grundsätzlich finde ich das nicht übel, irgendwie verstärkt es die Spannung, das Mitfiebern. Aber auch den Schrecken und die grausamen Szenen des Krieges. Aus dem Mitfiebern wird ein Mitleiden, das sich nur schwer wieder ausblenden lässt.
Und glaubt mir, grausame Szenerien werden auf jeden Fall auftauchen. Hass, Tod und Folter verbinden sich mit der aufkeimenden Zuneigung Juliens für eine seiner Mitstreiterinnen.
Irritierend ist allerdings, wie einfach sich Julien in die Kampftruppe eingliedert, wie unkompliziert er plötzlich mit einem Gewehr an der Front steht.
 
Auch Martin ist kein angenehmer Zeitgenosse, zumindest soweit ich das für mich beurteilen kann. Er kokst, trinkt und ist alles in allem ein sehr.. unbeständiger und bemitleidenswerter Mensch. Das empfindet auch seine Freundin so, die ihn aus dem Haus wirft, als er nachts erneut von einem Trip nachhause kommt. Ich finde ihre Art, mit ihm umzugehen, ebenfalls wenig ansprechend. Sie beleidigt ihn, macht ihn wegen jeder Kleinigkeit nieder und er lässt sich das alles gefallen.
Wie auch immer, die Charaktere des Buches sind eine schöne Zusammenstellung aus unterschiedlichen halbgescheiterten und kaputten Existenzen, die alle auf ein Ziel hinarbeiten, das ihnen eine Verbesserung ihres Lebens verschaffen soll. Veränderung. Das Streben nach Veränderung, nach Abenteuer und.. allem das anders ist als das, was von einem erwartet wird.
Dazu kommt die Konstruktion faszinierender Landschaften, zu Wasser und zu Land, und die Ansammlung widersprüchlichster Gefühle, welche sich in Kampfsituationen, sowohl im Krieg als auch im zwischenmenschlichen Kontakt des Alltags, bilden. Es ist wie eine Studie, wie Krieg auf einen Unbeteiligten wirkt, der sich selbst zum Beteiligten macht. Aus moralischen Beweggründen wie auch aus persönlichen. Wie er hineinfällt, in die Ereignisse, selbstverschuldet, und schlussendlich vom Erlebten ausgespuckt wird und mit den Ereignissen zurecht kommen muss.
Ein Negativpunkt noch: Nach einer Weile kommt man, oder zumindest mir ging das so, der chronologischen Abfolge der Teile um Martin nicht mehr ganz mit. Es ist sehr konfus. Erst direkt am Ende merkt man, dass das Absicht war.
Aber da möchte ich nicht zuviel vorweg greifen
Es ist ein Buch, das man nach dem Lesen erst einmal weglegt. Darüber nachdenkt. Nicht so ganz weiß, was man davon halten soll. Nur um es dann wieder zur Hand zu nehmen und die entstandenen Fragen durch ein erneutes Lesen zu klären.
Allerdings kann ich nicht genau beurteilen, wie parteiisch die Story im Bezug auf den Krieg ist. Dazu weiß ich zu wenig davon, was ich aber definitiv in der nächsten Zeit ändern werde. Das ist vielleicht etwas, das neben dem Lesen des Buches noch zu empfehlen wäre.
Grundsätzlich wühlt es auf, macht betroffen, deprimierend, traurig, wirkt skurril und unnahbar. Aber alles in allem lässt es sich gut lesen, ist interessant und man ist anschließend um einige Gedankenansätze reicher. Die Erwartungen werden vielleicht nicht direkt so gestillt, wie.. erwartet ;) Denn es kommt grundsätzlich anders, als ich es mir vorgestellt habe.
Aber das Buch besticht durch die ungewöhnliche Geschichte und den faszinierenden Schreibstil, der ein ganz anderes Lesegefühl vermittelt. Klar, die Charaktere waren jetzt nicht ganz mein Fall, aber ich konnte mich dennoch für den Roman begeistern. Es ist einfach mal was Anderes, Neues.

Ich gebe dem Buch 4 Sterne (von 5), da es in einer beeindruckenden Schreibweise den Leser mitzieht in einen Abgrund, der bisher auf diese Weise eher selten behandelt wurde. Die Wirkung des Krieges auf einen Unbeteiligten, der sich aus Überzeugung und Lebensmüdigkeit selbst zum Beteiligten macht. Der Drang eines unbedeutenden Journalisten mit Drogenproblemen, die Geschichte dieses freiwilligen Kriegsteilnehmers für seinen Durchbruch aufzuschreiben und dadurch auch seine Beziehung zu retten. Das Buch bewegt, deprimiert, lässt mitfühlen und bleibt trotzdem durch die Sprache an vielen Stellen distanziert. Der Leser bekommt den Eindruck, das Geschehen zu beobachten und wird dadurch erst recht hineingezogen. Dazu wirft der Autor ethische und moralische Fragen rund um Krieg und Verantwortung auf. Hat mich sehr überzeugt.

2 Kommentare:

  1. Ahh dieses Buch für Blogger Zeugs grinst mich auch bei FB immer so an, aber habe mich noch nicht überwunden mich mal anzumelden.
    Bist du zufrieden? Wie lange machst du das schon?

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  2. Das war jetzt mein erstes Buch und bisher kann ich mich nicht beklagen ^^
    Werde da auf jeden Fall nochmal mein Glück versuchen ;)

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