Freitag, 21. Oktober 2011

In der Stille hört man das Herz am lautesten.

"Eine Frau bei 1000°“ ist mit bereits bei meiner letzten Buchzusendung „Drift“ im beiliegenden Prospekt aufgefallen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass der Klett- Kotta- Verlag auch diese Buch von Hallgrímur Helgason für Rezensionen auf Blog dein Buch bereit gestellt und schlussendlich u.a. auch mich dafür ausgewählt hat.
Der Rückentext verspricht folgendes:
„Ich lebe alleine in einer Garage, zusammen mit einem Laptop und einer alten Handgranate. Wir haben es wahnsinnig gemütlich.“
Drei Söhne von 9 Männern, das reicht. In ihrer Garage surft die 80- jährige Herbjörg durchs Internet und begleicht ihre letzten Rechnungen, während der Ofen für ihre Einäscherung heißläuft. Hallgrímur Helgasons neuer Roman ist ein wilder Ritt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts: ebenso anrührend wie skurril.
Ein Mädchen mit dem Zugang zur Macht, das die Gepflogenheiten ihres Heimatlandes kennt, sowohl unten im Volk als auch in den Regierungskreisen, ist zu einer alten Frau und abgestellten Mutter geworden, deren Kinder nur noch darauf warten, dass sie endlich stirbt und froh sind, dass sie nicht viel in ihrem Leben herum pfuschen kann. Obwohl sie es versucht.
Diese Frau erzählt ihre Lebensgeschichte und die Islands. Kindlich, herzlich, verbittert, ernst, begeistert und bestürzt. Sie beurteilt die politische Situation während des 2. Weltkriegs, den sie in Deutschland erlebt, genauer auf Amrum. Getrennt von ihren Eltern, getrennt von ihrer Heimat Island nimmt ihr Leben einen ganz eigenen Kriegs- und Krisenverlauf an, der sie später nach Hamburg und dann durch polnische Wälder führt.
Sie beobachtet und analysiert Geschlechter, Nationalitäten und Verhaltensmuster mit dem zeitlichen Schwerpunkt der Kriegswirren.
Das Buch ist eine erfrischende Mischung aus historischen Infos, einer spannenden und mitreißenden Lebensgeschichte, philosophischen Denkanstößen und geographische Wissenswertem.
Durch die ironische, manchmal verbitterte aber immer unverfälscht klare Sprache erhält die Hauptperson einen sympathischen Anstrich, der jedoch nicht dazu verleitet, sie zu bemitleiden oder ihr Schicksal zu bedauern. Sie stellt sich als eine Person dar, die gesehen hat, was sie sehen wollte, und nun auf eigene Faust mit ihrem Leben abrechnet. Selbstbestimmt und stark, trotz Raucherlunge und Bettlägerigkeit. Ihre Waffe: Ihre Erfahrung und das Internet.
Das Buch macht Lust auf Island, das wie ein Land erscheint, von dem man nur deswegen so selten etwas hört, weil es so selten etwas von sich hören lässt. Herbjörg nennt es ein „schweigendes Land“. Weniger allerdings, weil es als so herausragend schönes Land beschrieben wird, als eher weil man sich unbedingt selbst ein Bild davon machen möchte.
Der Bezug zu Island ist passend zur Buchmesse (über die ich auch noch was schreiben werde), aber die Geschichte um Herbjörg ist auch in vielen Bereichen eine Mahnung, wie ein Leben verlaufen kann, wenn man sich auf die falschen Menschen einlässt, sich zu sehr gehen lässt oder falsche Entscheidungen trifft. Dabei ist es oft tragisch und dramatisch, aber nie hoffnungslos oder gar kitschig. Manchmal sind die Gedankensprünge etwas unübersichtlich oder im ersten Moment zusammenhanglos, doch nie so verwirrend, dass man der Geschichte nicht mehr folgen könnte. Auch der Bezug zur Internetfähigkeit Herbjörgs hätte man mehr ausfeilen können, das war sehr knapp gehalten und hätte einen netten Running Gag für zwischendurch abgegeben. Aber das war ja eigentlich nicht Sinn der Sache denn trotz der skurrilen Darstellungen ist das Buch eher ernst und nüchtern.
Ich bin sehr überrascht von diesem Roman und kann ihn mit bestem Gewissen weiterempfehlen.

P.S.: Der Titel ist übrigens einer meiner Lieblingssätze aus dem Buch. Ich mag so kleine Herzenssprüche, über die man nachdenken kann und die berühren, ohne dass sie so wirken, als wären sie einem Kalenderblatt entsprungen.
P.P.S.: Vergesst nicht mein Gewinnspiel ;)

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