Vor einiger Zeit versprach ich Katharina einen Blogeintrag über meine Abneigung gegenüber Kontakt mit fremden Menschen zu verfassen. Der liegt hier schon eine Weile rum, wurde mehrfach überarbeitet und sieht nun das Tageslicht. Er ist sehr persönlich und ich habe auch etwas mit mir gerungen, ihn zu veröffentlichen. Um ehrlich zu sein, es sind nur rund 80% der Geschichte, denn einen Teil möchte ich auch gerne für mich behalten. Nicht nur weil das hier das Internet ist und jeder es lesen kann, sondern auch weil es mir stellenweise sogar für Menschen, die ich sehr gut kenne, zu intim ist.
Aber ich möchte mit meinen Erfahrungen helfen, sofern es für irgendwen eine Hilfe ist, und wenn noch Fragen bestehen, beantworte ich die gerne zusätzlich ;)
Früher dachte ich, homophob zu sein hieße, Angst vor Menschen zu
haben. Da ja ein „homo“ ein Mensch ist, rein
übersetzungstechnisch. Tja, daher habe ich, wenn sich ein Gespräch
mit einem Menschen, dem ich vertraute, in Richtung „Und was sind so
deine Fehler?“ entwickelte, packte ich zumeist aus: „Ich bin
homophob.“ Gott sei Dank geschah mir das nicht allzu lange, denn
ein guter Freund war ganz irritiert, weil er mich nicht so
schwulenfeindlich eingeschätzt hätte. Ich erklärte ihm dann, etwas
beschämt, dass es eigentlich eine Art Übersetzungsfehler war. Und
ich eigentlich Angst vor Menschen hätte. Vor fremden Menschen.
Ich
bin mir immernoch nicht sicher, ob es eine Angst vor bestimmten
Situationen, vor Abweisung oder peinlichen Ereignissen ist. Aber es
trieb mir den Schweiß auf die Stirn und ließ meine Hände zittern.
Ich bekam regelrecht Atemnot und mir war gleichzeitig heiß und kalt.
Es liefen mir Schauer den Rücken herunter.
Dieser Zustand setze ein, wenn ich in Kontakt mit fremden Menschen
treten musste. Ich hatte Angst davor, vor der Schulklasse zu
sprechen, die mich nicht leiden konnte. Den Busfahrer nach einer
Fahrkarte zu fragen. Mich beim Hausmeister nach einer verlorenen
Jacke zu erkundigen. Einzukaufen, da ich an der Kasse ja zwangsweise
mit der kassierenden Person reden musste. Zuhause ans Telefon zu
gehen, wenn ich nicht wusste, wer am anderen Ende war.
Meine Eltern haben das nie wirklich verstanden, glaube ich. Ich
war einfach schüchtern und zurückgezogen. Das Fehlen von Freunden,
wenn man von meiner Besten absieht, mit der ich aber zu meinem
Schulwechsel nach der 4. Klasse leider auch etwas weniger Kontakt
hatte, war für sie ein Zeichen von mangelndem Einsatz meinerseits.
Ich solle mich halt mehr anstrengen, öfter rausgehen, andere
Menschen treffen. Ich ging zu den Ministranten, Reiten und in die
Wasserwacht. Doch nirgendwo konnte ich mich integrieren. Zu groß war
die Hemmung, jemanden außerhalb der notwendigsten Kommunikation
anzusprechen. Irgendwann fingen die anderen an, sich über mich
lustig zu machen und mich aktiv auszugrenzen. Sie konnten mit mir
nicht umgehen, was ich ihnen nicht verübeln kann. Doch stellenweise
waren sie richtig fies und unter manchen Gemeinheiten von damals
leide ich immernoch. Mit 80 Kindern eine Woche lang ins Zeltlager zu
fahren, wenn man von ihnen eigentlich niemandem wirklich nahe steht
und dies sich auch während der Zeit nicht ändern wird, ist nicht
gerade einfach. Inzwischen will ich mit den Leuten von damals nichts
mehr zu tun haben. Meine Eltern meinen weiterhin, ich solle mich doch
mit den Bekannten von damals treffen und solche Kontakte seinen
wichtig. Aber ich kann es einfach nicht vergessen, und ich will es
auch nicht, denn wenn ich etwas nicht nötig habe, dann ist es
jemandem hinterherzurennen, der mich früher nur zu gerne sehr
schmerzlich ausgegrenzt hat, Kind hin oder her.
Aber ich schweife
ab.
Irgendwann wurde ich zu einem Psychologen geschickt.
Mit 10 oder 11 Jahren glaube ich. Genauer gesagt, zuerst von einer Familienberatern (oder so etwas) von
der Caritas und dann zu einem Kinderpsychologen. Vorrangig nicht wegen meiner Angst, muss ich hier allerdinghs anmerken. Die war absolut nebensächlich. So saß ich also
jede Woche bei einem Mann im Büro, der mir alles andere als
sympathisch war, und sollte im Rahmen einer Art Traumreise von den
Bildern erzählen, die ich sehe, und diese bis zur nächsten Sitzung
aufmalen. Was es mir geholfen hat, könnt ihr euch vorstellen:
Absolut nicht das Geringste. Auf die Sinnlosigkeit dieser Sitzungen
angesprochen hieß es voller Hoffnung von elterlicher Seite immer,
dass der Psychologe wisse was er tue und sich sicherlich etwas ändern
würde. Pustekuchen.
Erst als ich, hauptsächlich aufgrund schlechter Noten, die Schule
wechselte und in eine Klasse kam, die offen und freundlich war und
mich aufnahm wie ich war, änderte sich die Situation. Zudem ging ich
dort ins Internat - grundsätzlich war das Beste, das mir passieren
konnte. Zusammen mit den anderen Mädels (Klischee: bayrisches
katholisches Mädcheninternat) entwickelte ich ein neues
Selbstvertrauen. Irgendwann war ich als Internatsmutti, als große
Schwester und vertrauensvolle Mitwisserin voll integriert und nicht
nur die Schülerinnen in meinem Alter kamen zu mir um jemandem ihre
Probleme anzuvertrauen, sondern gerade die Küken hielten sich in
schwierigen Situationen an mich. Das gab mir sehr viel, denn ich
fühlte mich gebraucht und als wichtig für andere.
Doch ich kannte diese Menschen, da ich ja mit ihnen zusammen
wohnte, bzw. ihnen jeden Tag in der Schule begegnete. Der Kontakt zu
wirklich Fremden war mir weiterhin ausgesprochen unangenehm. Ich
entwickelte Taktiken, um nicht mit ihnen in Kontakt treten zu müssen.
Egal ob das nun bedeutete, einen Umweg zu machen, etwas nicht kaufen
zu können oder eine längere Wartezeit, um beispielsweise nicht
zusammen mit anderen Aufzug zu fahren oder in einen überfüllten Bus
steigen zu müssen. Ich fuhr öfter eine oder mehrere Stationen im
Bus zu weit, weil ich mich nicht traute, die neben mir sitzende
Person zu fragen, ob sie mich nicht aussteigen lassen könnte. Zudem
hatte ich Angst davor, in fremden Häusern oder Geschäften aufs Klo
zu gehen, bzw. eher nach der Toilette fragen zu müssen. Mit der Zeit
hatte ich jedoch die Schnauze voll davon, wie ein ängstliches
Mäuschen herumzuschleichen. Ich wusste, so konnte es nicht
weitergehen. Und ich entwickelte die Strategie, mich ganz bewusst in
Situationen zu bringen, die ich fürchtete, und so eine Routine zu
entwickeln. Ich fragte bewusst beim Einkaufen nach anderen Größen
und auf der Straße nach der Uhrzeit. Ich rief bei Arbeitsstellen an
um nachzufragen, ob meine Bewerbung eingegangen sei, oder ob sie
einen Praktikumsplatz zu vergeben hätten. Ich begleitete Freunde zu
Treffen mit wiederum deren Freunden und nahm mir vor, mit mindestens
zwei Personen dort zu reden.
Hilfreich war auch das Internet. Ich habe mehr Menschen aus dem
Internet getroffen, als ich zählen kann. Natürlich habe ich mit
denen vorher Kontakt gehabt, aber es ist etwas anderes, ein paar
Mails zu wechseln und sich ein paar Stunden lang zu unterhalten.
Diese Halb-Bekanntschaft war ein guter Übergang in Gespräche mit
fremden Menschen. Auf Geburtstagsfeiern oder Silvesterfeiern von
Freunden verbot ich es mir, still in einer Ecke zu sitzen. Ich suchte
mich zu integrieren und mich an den Gesprächen um mich herum zu
beteiligen. Ich lege mir vor solchen Situationen Fragen und Antworten
zurecht, überlege mir, wer da sein könnte, und was diese Menschen
interessiert, was sie möglicherweise wissen möchten. Was es aber
auch nicht immer einfacher macht, denn viele, viele Menschen
erleichtern einem das Gespräch nicht, wenn sie merken, dass man
unsicher ist. Sie gehen auf die Kommentare, die man macht, nicht ein
und erschweren es, sich weiterhin erfolgreich zu beteiligen. Dennoch
wurde es mit der Zeit einfacher. Nicht weil ich die Angst verloren
habe. Aber ich habe gelernt, mich zu kontrollieren und nicht jeder
Situation, die mir den Angstschweiß auf den Rücken trieb, aus dem
Weg zu gehen. Ich ertrage es eher, unterdrücke es. Viele Situationen
sind mir immernoch sehr unangenehm und nachdem ich mir bewiesen habe,
dass ich sie durchstehen kann, wenn ich es möchte oder es notwendig
ist, versuche ich inzwischen ab und an auch einen Weg des geringsten
Widerstandes zu gehen. Weil ich nicht integriert sein muss, wenn ich
nicht möchte. Auch eine wichtige Erkenntnis: Sozialer Umgang mit
fremden Menschen ist kein Zwang. Er ist notwendig, um neue
Freundschaften zu schließen, möglicherweise auch, wenn man
berufliches Networking betreiben möchte, doch außerhalb dessen muss
man sich nicht der gesellschaftlichen „du musst ein kommunikativer
Mensch sein“- Maxime beugen.
Manchmal gibt es eine Art Rückfall, wenn ich auf eine Party gehe,
auf der ich nur eine Person kenne zum Beispiel. Oder wenn ich meinen
Freund zu Freunden begleite, die mich noch nicht kennen. Situationen,
in denen es wichtig ist, wie ich wirke, in denen ich mich so gut wie
möglich präsentieren und akzeptiert werden will. Da kriege ich
Herzflattern und auch die Atemnot stellt sich wieder ein.
Stellenweise hält das an, bis ich wieder alleine bin. Manchmal kann
ich mich jedoch entspannen und die Gesellschaft freundlicher und
offener Menschen genießen.
Ich weiß, dass diese Taktik nicht jedem hilft und ich
möglicherweise vom ein oder anderen belächelt werde, der meint,
seine Situation sei viel schlimmer, unerträglicher, schwerer. Doch
ich bin der Meinung, dass es immer so schwer ist, wie man es selbst
empfindet und eine Beurteilung der Emotionen anderer nur schwer, wenn
nicht gar unmöglich, ist und daher auch vermieden werden sollte. Ich
hege allerdings die Hoffnung, dass dieser Bericht dem ein oder
anderen hilft, etwas offener und risikobereiter auf seine Umwelt
zuzugehen und sich und seine Angst zu überwinden, bzw. ihr die
Kontrolle zu nehmen.
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