Freitag, 12. April 2013

When we were children we'd say that we don't know the meaning of fear..

Vor einiger Zeit versprach ich Katharina einen Blogeintrag über meine Abneigung gegenüber Kontakt mit fremden Menschen zu verfassen. Der liegt hier schon eine Weile rum, wurde mehrfach überarbeitet und sieht nun das Tageslicht. Er ist sehr persönlich und ich habe auch etwas mit mir gerungen, ihn zu veröffentlichen. Um ehrlich zu sein, es sind nur rund 80% der Geschichte, denn einen Teil möchte ich auch gerne für mich behalten. Nicht nur weil das hier das Internet ist und jeder es lesen kann, sondern auch weil es mir stellenweise sogar für Menschen, die ich sehr gut kenne, zu intim ist.
Aber ich möchte mit meinen Erfahrungen helfen, sofern es für irgendwen eine Hilfe ist, und wenn noch Fragen bestehen, beantworte ich die gerne zusätzlich ;)



Früher dachte ich, homophob zu sein hieße, Angst vor Menschen zu haben. Da ja ein „homo“ ein Mensch ist, rein übersetzungstechnisch. Tja, daher habe ich, wenn sich ein Gespräch mit einem Menschen, dem ich vertraute, in Richtung „Und was sind so deine Fehler?“ entwickelte, packte ich zumeist aus: „Ich bin homophob.“ Gott sei Dank geschah mir das nicht allzu lange, denn ein guter Freund war ganz irritiert, weil er mich nicht so schwulenfeindlich eingeschätzt hätte. Ich erklärte ihm dann, etwas beschämt, dass es eigentlich eine Art Übersetzungsfehler war. Und ich eigentlich Angst vor Menschen hätte. Vor fremden Menschen.
Ich bin mir immernoch nicht sicher, ob es eine Angst vor bestimmten Situationen, vor Abweisung oder peinlichen Ereignissen ist. Aber es trieb mir den Schweiß auf die Stirn und ließ meine Hände zittern. Ich bekam regelrecht Atemnot und mir war gleichzeitig heiß und kalt. Es liefen mir Schauer den Rücken herunter.
Dieser Zustand setze ein, wenn ich in Kontakt mit fremden Menschen treten musste. Ich hatte Angst davor, vor der Schulklasse zu sprechen, die mich nicht leiden konnte. Den Busfahrer nach einer Fahrkarte zu fragen. Mich beim Hausmeister nach einer verlorenen Jacke zu erkundigen. Einzukaufen, da ich an der Kasse ja zwangsweise mit der kassierenden Person reden musste. Zuhause ans Telefon zu gehen, wenn ich nicht wusste, wer am anderen Ende war.

Meine Eltern haben das nie wirklich verstanden, glaube ich. Ich war einfach schüchtern und zurückgezogen. Das Fehlen von Freunden, wenn man von meiner Besten absieht, mit der ich aber zu meinem Schulwechsel nach der 4. Klasse leider auch etwas weniger Kontakt hatte, war für sie ein Zeichen von mangelndem Einsatz meinerseits. Ich solle mich halt mehr anstrengen, öfter rausgehen, andere Menschen treffen. Ich ging zu den Ministranten, Reiten und in die Wasserwacht. Doch nirgendwo konnte ich mich integrieren. Zu groß war die Hemmung, jemanden außerhalb der notwendigsten Kommunikation anzusprechen. Irgendwann fingen die anderen an, sich über mich lustig zu machen und mich aktiv auszugrenzen. Sie konnten mit mir nicht umgehen, was ich ihnen nicht verübeln kann. Doch stellenweise waren sie richtig fies und unter manchen Gemeinheiten von damals leide ich immernoch. Mit 80 Kindern eine Woche lang ins Zeltlager zu fahren, wenn man von ihnen eigentlich niemandem wirklich nahe steht und dies sich auch während der Zeit nicht ändern wird, ist nicht gerade einfach. Inzwischen will ich mit den Leuten von damals nichts mehr zu tun haben. Meine Eltern meinen weiterhin, ich solle mich doch mit den Bekannten von damals treffen und solche Kontakte seinen wichtig. Aber ich kann es einfach nicht vergessen, und ich will es auch nicht, denn wenn ich etwas nicht nötig habe, dann ist es jemandem hinterherzurennen, der mich früher nur zu gerne sehr schmerzlich ausgegrenzt hat, Kind hin oder her.
Aber ich schweife ab.
Irgendwann wurde ich zu einem Psychologen geschickt. Mit 10 oder 11 Jahren glaube ich. Genauer gesagt, zuerst von einer Familienberatern (oder so etwas) von der Caritas und dann zu einem Kinderpsychologen. Vorrangig nicht wegen meiner Angst, muss ich hier allerdinghs anmerken. Die war absolut nebensächlich. So saß ich also jede Woche bei einem Mann im Büro, der mir alles andere als sympathisch war, und sollte im Rahmen einer Art Traumreise von den Bildern erzählen, die ich sehe, und diese bis zur nächsten Sitzung aufmalen. Was es mir geholfen hat, könnt ihr euch vorstellen: Absolut nicht das Geringste. Auf die Sinnlosigkeit dieser Sitzungen angesprochen hieß es voller Hoffnung von elterlicher Seite immer, dass der Psychologe wisse was er tue und sich sicherlich etwas ändern würde. Pustekuchen.

Erst als ich, hauptsächlich aufgrund schlechter Noten, die Schule wechselte und in eine Klasse kam, die offen und freundlich war und mich aufnahm wie ich war, änderte sich die Situation. Zudem ging ich dort ins Internat - grundsätzlich war das Beste, das mir passieren konnte. Zusammen mit den anderen Mädels (Klischee: bayrisches katholisches Mädcheninternat) entwickelte ich ein neues Selbstvertrauen. Irgendwann war ich als Internatsmutti, als große Schwester und vertrauensvolle Mitwisserin voll integriert und nicht nur die Schülerinnen in meinem Alter kamen zu mir um jemandem ihre Probleme anzuvertrauen, sondern gerade die Küken hielten sich in schwierigen Situationen an mich. Das gab mir sehr viel, denn ich fühlte mich gebraucht und als wichtig für andere.

Doch ich kannte diese Menschen, da ich ja mit ihnen zusammen wohnte, bzw. ihnen jeden Tag in der Schule begegnete. Der Kontakt zu wirklich Fremden war mir weiterhin ausgesprochen unangenehm. Ich entwickelte Taktiken, um nicht mit ihnen in Kontakt treten zu müssen. Egal ob das nun bedeutete, einen Umweg zu machen, etwas nicht kaufen zu können oder eine längere Wartezeit, um beispielsweise nicht zusammen mit anderen Aufzug zu fahren oder in einen überfüllten Bus steigen zu müssen. Ich fuhr öfter eine oder mehrere Stationen im Bus zu weit, weil ich mich nicht traute, die neben mir sitzende Person zu fragen, ob sie mich nicht aussteigen lassen könnte. Zudem hatte ich Angst davor, in fremden Häusern oder Geschäften aufs Klo zu gehen, bzw. eher nach der Toilette fragen zu müssen. Mit der Zeit hatte ich jedoch die Schnauze voll davon, wie ein ängstliches Mäuschen herumzuschleichen. Ich wusste, so konnte es nicht weitergehen. Und ich entwickelte die Strategie, mich ganz bewusst in Situationen zu bringen, die ich fürchtete, und so eine Routine zu entwickeln. Ich fragte bewusst beim Einkaufen nach anderen Größen und auf der Straße nach der Uhrzeit. Ich rief bei Arbeitsstellen an um nachzufragen, ob meine Bewerbung eingegangen sei, oder ob sie einen Praktikumsplatz zu vergeben hätten. Ich begleitete Freunde zu Treffen mit wiederum deren Freunden und nahm mir vor, mit mindestens zwei Personen dort zu reden.
Hilfreich war auch das Internet. Ich habe mehr Menschen aus dem Internet getroffen, als ich zählen kann. Natürlich habe ich mit denen vorher Kontakt gehabt, aber es ist etwas anderes, ein paar Mails zu wechseln und sich ein paar Stunden lang zu unterhalten. Diese Halb-Bekanntschaft war ein guter Übergang in Gespräche mit fremden Menschen. Auf Geburtstagsfeiern oder Silvesterfeiern von Freunden verbot ich es mir, still in einer Ecke zu sitzen. Ich suchte mich zu integrieren und mich an den Gesprächen um mich herum zu beteiligen. Ich lege mir vor solchen Situationen Fragen und Antworten zurecht, überlege mir, wer da sein könnte, und was diese Menschen interessiert, was sie möglicherweise wissen möchten. Was es aber auch nicht immer einfacher macht, denn viele, viele Menschen erleichtern einem das Gespräch nicht, wenn sie merken, dass man unsicher ist. Sie gehen auf die Kommentare, die man macht, nicht ein und erschweren es, sich weiterhin erfolgreich zu beteiligen. Dennoch wurde es mit der Zeit einfacher. Nicht weil ich die Angst verloren habe. Aber ich habe gelernt, mich zu kontrollieren und nicht jeder Situation, die mir den Angstschweiß auf den Rücken trieb, aus dem Weg zu gehen. Ich ertrage es eher, unterdrücke es. Viele Situationen sind mir immernoch sehr unangenehm und nachdem ich mir bewiesen habe, dass ich sie durchstehen kann, wenn ich es möchte oder es notwendig ist, versuche ich inzwischen ab und an auch einen Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Weil ich nicht integriert sein muss, wenn ich nicht möchte. Auch eine wichtige Erkenntnis: Sozialer Umgang mit fremden Menschen ist kein Zwang. Er ist notwendig, um neue Freundschaften zu schließen, möglicherweise auch, wenn man berufliches Networking betreiben möchte, doch außerhalb dessen muss man sich nicht der gesellschaftlichen „du musst ein kommunikativer Mensch sein“- Maxime beugen.
Manchmal gibt es eine Art Rückfall, wenn ich auf eine Party gehe, auf der ich nur eine Person kenne zum Beispiel. Oder wenn ich meinen Freund zu Freunden begleite, die mich noch nicht kennen. Situationen, in denen es wichtig ist, wie ich wirke, in denen ich mich so gut wie möglich präsentieren und akzeptiert werden will. Da kriege ich Herzflattern und auch die Atemnot stellt sich wieder ein. Stellenweise hält das an, bis ich wieder alleine bin. Manchmal kann ich mich jedoch entspannen und die Gesellschaft freundlicher und offener Menschen genießen.

Ich weiß, dass diese Taktik nicht jedem hilft und ich möglicherweise vom ein oder anderen belächelt werde, der meint, seine Situation sei viel schlimmer, unerträglicher, schwerer. Doch ich bin der Meinung, dass es immer so schwer ist, wie man es selbst empfindet und eine Beurteilung der Emotionen anderer nur schwer, wenn nicht gar unmöglich, ist und daher auch vermieden werden sollte. Ich hege allerdings die Hoffnung, dass dieser Bericht dem ein oder anderen hilft, etwas offener und risikobereiter auf seine Umwelt zuzugehen und sich und seine Angst zu überwinden, bzw. ihr die Kontrolle zu nehmen.

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