Ein gewisses Grundrepertoire an Märchen gehört zu einer
kreativen und von Fantasie erfüllten Kindheit dazu, davon bin ich
überzeugt. In die Welt von Schneewittchen, Allerleirau und den
sieben Schwänen einzutauchen vermittelt Kindern eine Vorstellung von
unterschiedlichst geprägten Charakteren. Von Gut und Böse im
klassischen Sinne ebenso wie von Mitleid, Verrat und Liebe. Märchen
sind geprägt von Idealen, aber auch vollgestopft mit Metaphern und
Selbstironie. Der erste Schritt ist das Amüsement beim Lesen, der
zweite das Nachdenken und Interpretieren, das oftmals weitaus später
kommt. Ich möchte Märchen nicht missen und bin meinen Eltern sehr
dankbar dafür, von ihnen von klein auf mit den unterschiedlichsten
Geschichten in Berührung gebracht worden zu sein. Ich lese heute
noch sehr gerne in unseren Märchenbüchern, ob es sich nun um die
von den Grimms oder Andersen gesammelten Klassiker oder auch
internationale Geschichten handelt. Es findet sich eigentlich für
jede Stimmung das passende Märchen, das schön bleibt, gerade auch,
wenn eine eher antiquierte Sprache verwendet wird, wenn man es nicht
zum ersten Mal aufschlägt.
Die Leistung der Grimms, Märchen zu sammeln und einheitlich
zusammen zu fassen, ist beachtlich. Gerade weil sie Kernaspekt der
deutschen Märchenkultur sind, hab ich mich auf die neue Vox-Serie
„Grimm“ gefreut und hohe Erwartungen in diese Verfilmung gesetzt.
Doch, um es vorweg zu nehmen, ich fühle mich etwas um meine
Märchen betrogen.
Die Charaktere wurden umbenannt. Es gibt keinen „bösen Wolf“
sondern Blutbader, es gibt keine „drei Bären“ sondern Jägerbären
und selbst die Hexen heißen nicht Hexen, sondern „Hexenbiester“.
Warum? Was ist an den bekannten Formen so unbrauchbar? Damit kann
sich doch selbst der geneigte Gelegenheitsmärchenleser
identifizieren. Warum dann so einen Käse produzieren?
Es erscheint, als wolle man das Thema modernisieren. Goldlöckchen
ist eine Diebin und pflegt eine inzestuöse Beziehung mit ihrem
Bruder, der böse Wolf hat einen Rote-Jacken-Fetisch und mästet
seine Opfer, bevor er sie zerfleischt und verspeist. Damit kann ich
leben. Aber der Märchenaspekt fehlt ansonsten leider völlig. Die
Grimms sind nichts als bessere Hexenjäger, die eine Art zweiten
Blick haben, der als Fluch bezeichnet wird. Die bösen Wesen, deren
Herkunft, Ziel oder gar der Sinn ihrer Existenz in den ersten beiden
Folgen nicht im mindesten beleuchtet werden, hegen jahrhunderte, wenn
nicht gar jahrtausende währende Rachegelüste gegen die Familie. Was
auch seine Gründe hat, denn vermutlich hat jedes der Wesen einen
Familienangehörigen, der von einem Grimm ins Jenseits geschickt
wurde.
Aber kurz zur Handlung:
Der aktuelle Grimm, Nick, der letzte, wie es scheint, erfährt von
seiner sterbenden Tante (zum einen wird sie vom Krebs dahingerafft,
zum anderen werden Mordanschläge auf sie verübt) ein wenig über
seine Herkunft und seinen erst gerade erwachenden neuen Blick auf die
Welt. In ihrem fahrbaren Monsterjagd-Labor, getarnt als Wohnwagen,
findet er alte Bücher, Zeichnungen und Waffen, die ihm für seine
bevorstehende Lebensaufgabe von Nutzen sein sollen. Grundsätzlich
hat er mit Verbrechensermittlungen bereits Erfahrung, denn er ist
Polizist und mit der Aufklärung von Mordfällen und
Vermisstmeldungen beauftragt.
Als er im Rahmen einer Ermittlung um eine getötete Joggerin (mit
einer roten Jacke bekleidet) auf einen Blutbader (eine Art besserer
Werwolf) stößt, bittet er diesen um Hilfe und sucht ihn auch in der
nächsten Folge auf, um seinen Rat und seine Unterstützung zu
erhalten. Dieser Werwolf ist ein wenig der auflockernde Charakter in
der Serie. Er macht Pilates, fährt ein umfassendes
Gesundheitsprogramm, um nicht wieder blutrünstig zu werden, und
möchte mit der ganzen Geschichte eigentlich nichts zu tun haben.
Seine Großeltern wurden von Nicks Tante getötet und er verspürt
eine Verpflichtung seiner Familie gegenüber, ihr nicht zu helfen.
Dennoch lässt er sich immer wieder von Nick überzeugen, die
Ermittlungen zu unterstützen.
Die Serie ist nicht schlecht. Doch wer einen Bezug auf bekannte
Märchen sucht, der sucht lange. Die Geschichten sind so weit
verdreht, dass die Verbindungen nurnoch entfernt zu finden sind.
Stellenweise finden sich zwar Charaktere, die denen der
Ursprungsmärchen zu entsprechen scheinen, doch ihre Geschichte
unterscheidet sich dann stellenweise so sehr vom Ursprung, dass man
es eigentlich vernachlässigen könnte.
Es kommt einem so vor, als hätte NBC eine Serie gesucht, die die
Zielgruppe von Supernatural anspricht. Der Bezug zu den Grimms
erscheint als Bauernfänger, der bekannte Geschichten in neuer Form
impliziert. Leider ist das hier kaum zu finden.
Ich war recht enttäuscht von dieser Serie, die so gut hätte sein
können, es aber de facto gerade mal zu ein paar guten Ansätzen
schafft. Beziehungsweise: Die Serie ist nicht schlecht, doch wenn man
sich auf spannende Märchenmordfälle freut, dann ist man an der
falschen Adresse. Andere Erwartungen können durchaus erfüllt
werden, doch meine wurden es nicht. Möglicherweise sehe ich mir noch
die ein oder andere Folge an, wenn sie im Fernsehen läuft, und
möglicherweise werden die Geschichten auch etwas interessanter mit
der Zeit. Die beiden Folgen von gestern haben mich jedoch nachhaltig
enttäuscht.
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